Timo (Schöber) und ich haben unterschiedliche Meinungen. Es geht um die Frage, ob E-Sport Sport ist oder nicht. Darüber haben wir ein Streitgespräch geführt. Und es aufgeschrieben. Hier könnt Ihr nachlesen, was wir gesagt haben. PS: Timo und ich sind auch danach noch Freunde 😉
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O.D.: Ich behaupte, dass die Frage, ob E-Sport Sport ist oder nicht, nicht pauschal beantwortet werden kann. Vielmehr sollte differenziert werden.
T.S.: Das verstehe ich nicht: E-Sport ist per Definition Sport. Das zeigen die Definitionsmerkmale sehr deutlich.
O.D.: Auf welche Definition von E-Sport beziehst Du Dich? Und welche Definitionsmerkmale sind gemeint?
T.S.: Primär auf die Definition von der International Esports Federation:
„Esports is a competitive sport performed in a virtual environment in which physical and mental abilities are exercised to create victory conditions through generally accepted rules.“
O.D.: Diese Definition von E-Sport bezieht sich auf das Begriffsmerkmal „Sport“ ohne es zu definieren. Wie definierst Du den Sportbegriff?
T.S.: Das ist die Krux bei Definitionen. Es werden Begriffe genutzt, die wiederum definiert werden müssen – und zwar mit Begriffen, die einer Definition bedürfen. Ein Teufelskreis. Zum Sportbegriff: Dieser ist in der Literatur sehr unterschiedlich definiert. Eine moderne Definition von Sport ist jene von Sutula:
„Sport as a special socio-cultural phenomenon, is a historically determined activity of people connected with the use of physical exercises, which is aimed at preparing and participating in a specially organized system of competitions, as well as individual and socially significant results of such activity.“
Unter dieser kannst du E-Sport vollständig subsummieren.
O.D.: Die Sport-Definition von Sutula (wer auch immer das ist) ist sehr weit, so dass selbst Hotdog-Wettessen hierunter als Sport verstanden werden könnte. In Hinblick auf den E-Sport sehe ich nicht, dass das Merkmal „historically determined“ auch gegeben ist. Dafür ist der E-Sport, nicht das elektronische Spielen, noch zu jung. Historisch klingt für mich aufgrund der Geschichte bzw. langen Vergangenheit. Das ist bei Fußball, Handball, Tennis usw. gegeben, aber nicht bei E-Sport.
T.S.: Vasil Sutula ist Sportwissenschaftler an der Kharkiv State Academy of Physical Culture, soviel vorweg. Und ja, das Problem an Sportdefinitionen ist das Fehlen einer engen Abgrenzbarkeit. Das haben alle gängigen Definitionen des Sportbegriffs gemein. Was schlussendlich eher für E-Sport als Sport spricht, als ein Gegenargument zu sein. Zur Historizität: Auch dieser Begriff ist nicht eng abgrenzbar. Ich sehe das komplett anders als du. E-Sport ist seit den 1970er-Jahren entstanden, seit Mitte der 1990er-Jahre mehr oder minder als Kern dessen, was wir heute darunter verstehen. Deiner Logik folgend wären beispielsweise das Ende des Vietnamkrieges, die Perestroika, der Mauerfall oder der Fußball-WM-Sieg 1994 keine Fälle für Historiker und deren Arbeit. „Historically determined“ meint im Übrigen nicht „historisch“, sondern „historisch gewachsen“. Das ist beim E-Sport unstrittig der Fall.
O.D.: E-Sport sei unstrittig historisch gewachsen? Unstrittig würde voraussetzen, dass die weit überwiegende Mehrheit in der Wissenschaft die Meinung vertritt, dass E-Sport historisch gewachsen sei. Ich glaube jedoch beim besten Willen nicht, dass das belegbar wäre. Ungeachtet dessen bezweifele ich, dass die Definition einer an einer ukrainischen Staatsakademie tätigen Person ohne Weiteres repräsentativ für so eine wichtige und praxisrelevante Definition ist. Wer teilt seine Ansicht? Gibt es namhafte Personen und Institutionen in Wissenschaft oder Praxis, die die gleiche Sportdefinition verwenden?
T.S.: Natürlich ist E-Sport historisch gewachsen. Das sieht man von der Kultur um Space Invaders, über das Goldene Modul von Nintendo, bis hin zu Aspekten wie Pro Gaming. „Historisch“ meint nicht, dass etwas seit dem alten Rom bestehen muss, um als historisch zu gelten. „Historisch gewachsen“ meint einen Prozess zur Entstehung eines Phänomens bzw. einer Sache, der in der Vergangenheit liegt.
Zu Sutula: Du musst das, was ich schreibe, schon verinnerlichen! Ich schrieb: „Und ja, das Problem an Sportdefinitionen ist das Fehlen einer engen Abgrenzbarkeit.“ Das gilt für jeden Sportwissenschaftler. Sutula wird vergleichsweise oft in der Literatur zitiert, was eine einfache Suche bei Google Scholar und ResearchGate verdeutlicht und derartige Fragen erübrigt. Du kannst dir aber auch gerne Digel, Heinemann, Froböse, Tiedemann oder Burk und Fahrner heranziehen, wenn du eine deutschsprachige Quelle möchtest.
O.D.: Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, E-Sport sei „historisch gewachsen“. Historisch gewachsen sind Tennis, Fußball und Rudern zum Beispiel. Eine solche lange Historie kann der E-Sport nicht aufweisen. „Historisch gewachsen“ ist nicht gleichzusetzen mit „eine Vergangenheit haben“.
Darüber hinaus: Ist der Ansatz von Sutula die einzige Definition von Sport, die deiner Meinung nach E-Sport erfasst? Ich behaupte, dass es keine allgemein verbindliche oder mehrheitlich anerkannte Definition von Sport gibt, unter der auch E-Sport gefasst werden könnte. Die Definition von Sutula verstehe ich nicht als allgemein verbindlich oder mehrheitlich anerkannt – selbst wenn E-Sport hierunter erfasst würde.
T.S.: Definitionen sind nie allgemeingültig, wie bereits mehrfach geschrieben. Zum „historischen Wachstum“: So eine Aussage können nur Newschooler bringen. Ich war beim historischen Wachstum dabei. Von einer Nische, zum LAN-Phänomen und später dem QuakeNet, bis hin zum Pro Gaming, der ClanBase und der ESL. Natürlich ist E-Sport historisch gewachsen. Jeder, der länger dabei ist als ein paar Jahre, wird dir dies bestätigen.
O.D.: In der Rechtswissenschaft gibt es – soweit für mich ersichtlich – außer vielleicht im Gemeinnützigkeitsrecht – keine verbindliche Definition von Sport. Daher fällt es mir auch schwer zu sagen, dass E-Sport Sport sei, weil es keine Möglichkeit gibt, es wissenschaftlich zu begründen. Daher behaupte ich, dass es keine allgemein verbindliche oder mehrheitlich anerkannte Definition von Sport gibt, unter der auch E-Sport gefasst werden könnte. Ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren. Aber die Sportdefinition von Sutula ist ungeeignet, eine Lösung zu bieten. Deshalb: Ist der Ansatz von Sutula die einzige Definition von Sport, die deiner Meinung nach E-Sport erfasst?
T.S.: Nein, es gibt diverse Definitionen oder Definitionsansätze, die E-Sport inkludieren. Nehmen wir zum Beispiel Tiedemann, veröffentlicht im letzten Jahr:
„Sport ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich freiwillig in eine Beziehung zu anderen Menschen begeben, um ihre jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Bewegungskunst zu vergleichen – nach selbst gesetzten oder übernommenen Regeln und auf Grundlage der gesellschaftlich akzeptierten ethischen Werte.“
Hinterfragen könnte man „kulturelles“ und „Bewegungskunst“. Ersteres klärt sich beim E-Sport, weil das Spiel in Deutschland Kulturgut ist. Zweiteres inkludiert E-Sport, weil hier diverse feinmotorische Abläufe erfolgen, die asymmetrisch umgesetzt werden. Die Forschung spricht von bis zu 400 Aktionen pro Minute. Das ist im Übrigen einer der Gründe, weshalb Froböse E-Sport als Sport definiert.
O.D.: Bei Kultur und Bewegungskunst bin ich ganz bei Dir. Ich sehe jedoch zusätzlich ein Problem beim Merkmal „gesellschaftlich akzeptierte ethische Werte“. Das ist hinsichtlich der sog. Killerspiel-Debatte ein offener Kritikpunkt an einigen E-Sport-Titeln. Demnach unterfällt E-Sport zumindest teilweise auch der Sportdefinition von Tiedemann nicht. Deine Definitionen finde ich unbrauchbar.
T.S.: Hier haben wir den gleichen Punkt wie bei der Sportdefinition. Was ist ein ethischer Wert? Das ist eine Worthülse, die philosophisch zu betrachten Jahrhunderte dauern kann. Gemeint sind damit in diesem Zusammenhang primär aber Fairplay, kultureller Austausch sowie Gleichheit und Freiheit aller Menschen.
O.D.: Würdest Du sagen, dass alle Titel im E-Sport den in Bezug genommenen gesellschaftlich akzeptierten ethischen Werten entsprechen?
T.S.: Je nach dem wie eng man den Begriff definiert: „Ja“ oder aber „weitestgehend“.
O.D.: Ok!