Kollektivstrafen im E-Sport - Ist das legal?

Es kommt vor, dass Spieler bei E-Sport-Wettbewerben dopen oder cheaten. Erfahren die Veranstalter davon, greifen sie mitunter zu drastischen Strafen. Häufig wird zur Abschreckung gleich das ganze Team mitbestraft. Die somit ausgesprochene Kollektivstrafe steht juristisch oftmals auf wackeligen Beinen. Warum genau, das wird in diesem Beitrag erläutert.

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Wer an einem E-Sport-Turnier teilnimmt, unterliegt den Regelwerken des jeweiligen Veranstalters. Diese enthalten neben Vorschriften zum Ablauf des Turniers und zur Höhe des Preisgeldes auch konkrete Verhaltensanweisungen an die Spieler. Verboten sind Doping, Cheating und anderes Fehlverhalten. Zuwiderhandlungen werden teilweise hart bestraft. Dennoch gab es in der Vergangenheit immer wieder vereinzelt Verstöße hiergegen.

Traurige Bekanntheit erlangte im November 2019 der Vorfall des Spielers Tim „timbo“ Israelewski vom Team SFD-Gaming. Dieser soll während eines Spiels in der Division 2 der 99damage-Liga gecheatet haben (Quelle). Der Schwindel flog auf, woraufhin die Ligaleitung den Spieler vom laufenden Wettbewerb ausschloss und auf Lebenszeit sperrte („livetime ban„). Sein Team wurde ebenfalls disqualifiziert und musste zwangsabsteigen.

Die Ligaleitung hat eine sog. Kollektivstrafe ausgesprochen. Vereinfacht ausgedrückt wird hierbei das gesamte Team bestraft für das Fehlverhalten einer oder mehrerer vereinzelter Personen. Kollektivstrafen führen also dazu, dass Personen in Haftung genommen werden, denen gar kein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Das ist juristisch nicht ohne Risiko.

Fiktiver Fall einer Kollektivstrafe im E-Sport

Das juristische Problem der Kollektivstrafe wird anhand eines fiktiven Falles erläutert: Ein CS:GO-Team aus Hamburg nimmt an einem großen Turnier in Köln teil. Auf offener Straße beleidigt und belästigt ein Hamburger Spieler den Spieler eines gegnerischen Teams aus München. Dies geschah ohne erkennbaren Bezug zum E-Sportturnier. Der Veranstalter schließt daraufhin das Team aus Hamburg mitsamt Spieler vom Turnier aus. Zudem steigt das Team zwangsweise ab. Team und Spieler überlegen nun, ob die Disqualifikation rechtmäßig war. Schließlich hatten sie Kosten für Anreise, Hotel, Startgebühr etc. zu tragen.

Bei der Lösung des fiktiven Falles muss in verschiedenen kleinen Schritten gedacht werden. Zunächst sind die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Team und Veranstalter zu untersuchen. Die Strafvorschriften der Spieler sind aber regelmäßig nicht im Vertrag enthalten. Stattdessen befinden sich diese in speziellen E-Sport-Regelwerken wie dem zur ESL-Meisterschaft. In Hinblick auf die Beleidigung und Belästigung des Hamburger Spielers enthält das ESL-Regelwerk in Ziffer 1.7.5 die Regelung „Verhaltenskodex“. Dort heißt es u. a.:

Alle Teilnehmer haben sich respektvoll gegenüber anderen Spielern zu verhalten. Beleidigungen und sonstige Unsportlichkeiten werden mit Strafen geahndet. Das gilt sowohl für Vergehen im Spiel als auch in Chats, Messengern, Kommentaren und anderen Medien. Verstöße gegen den Verhaltenskodex können je nach Schwere des Falles zu Strafen bis hin zur Disqualifikation führen.

Wie Anwälte bei der Beleidigung argumentieren würden

Angewendet auf den Fall steht nach dieser Vorschrift zunächst fest, dass die Beleidigung und Belästigung eine Unsportlichkeit darstellen. Die Frage ist nur, ob diese Unsportlichkeit auch von der Vorschrift erfasst ist, da sie nicht „im Spiel oder Chat“ etc. begangen wurde. Der vom Veranstalter beauftragte Rechtsanwalt würde argumentieren, dass zwar „im Spiel“ geschrieben wurde, aber „im Wettbewerb“ gemeint sei. Schließlich bezwecke die Regelung – was zutrifft (!) – den Schutz der Integrität des E-Sports und des Fair Play. Demnach könne sich die Vorschrift auch auf eine Beleidigung und Belästigung auf offener Straße erstrecken.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die genau gewählten – und bis dato nicht geänderten – Worte in der Vorschrift verbindlich sind. Daher ginge es einzig um Unsportlichkeiten „im Spiel oder Chats“ etc. Zudem sei Schutzobjekt der Vorschrift die Integrität und Fair Play des E-Sports und nicht zusätzlich der Schutz des Ansehens des E-Sports in der Öffentlichkeit. Die Verhaltensvorschrift gilt daher nicht in der Freizeit, sondern nur während des Spielbetriebs.

Disqualifikation des Teams als Kollektivstrafe

Im Ergebnis greift die Ziffer 1.7.5 also nicht bei Beleidigungen auf offener Straße und ohne erkennbaren Bezug zum E-Sport. Für die Zwecke dieses Beitrages wird jedoch vom Gegenteil ausgegangen. Dann ist nämlich weiter zu prüfen, ob der Veranstalter eine Disqualifikation auch aussprechen durfte. In Ziffer 1.8.3 des Regelwerkes steht dazu u. a.:

Besonders schwere Vergehen (z.B. Cheating), oder übermäßiges Fehlverhalten können zur sofortigen Disqualifikation führen. Bei einer Disqualifikation verliert der Teilnehmer alle bis dahin erspielten Preisgelder der jeweiligen Saison und darf in der Folgesaison nicht an der Liga teilnehmen.

Die Vorschrift ist in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen ist eine einmalige Unsportlichkeit (ohne Vorstrafen und/oder Wiederholungstaten) nicht automatisch ein besonders schweres Vergehen oder übermäßiges Fehlverhalten. Zum anderen ist nach der Ziffer 1.8.3 nur der Spieler zu disqualifizieren und nicht das gesamte Team. Eine Kollektivstrafe, wonach ein ganzes Team disqualifiziert werden könnte, enthält die Vorschrift gar nicht.

ESL-Regelwerk: Kollektivstrafe zu Sperren

Eine Regelung zu Kollektivstrafen findet sich neben Ziffer 1.7.3 („Doping, Drogen“) und Ziffer 1.7.4 („Matchabsprache, Wettbewerbsverzerrung“) allerdings in Ziffer 1.8.2 „Sperren“. Demnach können zeitliche Sperren auch gegen ganze Teams und Organisationen ausgesprochen werden. Wie der Spieler wurde das Hamburger Team aber disqualifiziert und nicht gesperrt, weshalb die Vorschrift insgesamt nicht greift.

Doch selbst wenn das Hamburger Team nicht disqualifiziert, sondern gesperrt worden und damit im Ranking geblieben wäre, bleiben Kollektivstrafen juristisch problematisch. Denn bei dem ESL-Regelwerk handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen („AGB“). Und als AGB unterliegt das Regelwerk zusätzlich noch einer rechtlichen Prüfung, die speziell für Vertragsklauseln vorgesehen ist (sog. AGB-Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB). Die AGB-Prüfung dient dem Schutz der Verbraucher.

AGB-Prüfung: Verschuldenshaftung als Standard der Rechtsordnung

Im Rahmen der AGB-Prüfung können im Zusammenhang mit Kollektivstrafen im E-Sport viele rechtliche Aspekte angeführt werden. Berücksichtigt wird u. a., dass die Kollektivstrafe einen pönalen Charakter aufweist. Damit unterliegt sie im besonderen Maße dem Bestimmtheitsgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Ist infolgedessen eine Vorschrift nicht klar und verständlich formuliert, ist sie unwirksam. Für den Zwangsabstieg des Hamburger Teams hat das zur Folge, dass dies einen Vertragsbruch seitens des Veranstalters darstellt, da eine solche Strafe im Regelwerk nicht vorgesehen ist.

Der Kollektivstrafe könnte eine weitere AGB-Schutzvorschrift (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) entgegenstehen. Denn die Kollektivstrafe kommt einer verschuldensunabhängigen Haftung gleich, die normalerweise bei Hundehaltern und Autofahrern angewendet wird. Das bedeutet, dass die übrigen Teammitglieder für ein fremdes Verhalten bestraft werden, das sie nicht gewollt oder von dem sie nichts gewusst haben („Strafe auch ohne Vorsatz“). Dem E-Sport näher liegt aber die Verschuldenshaftung. Demnach muss eine Person das Fehlverhalten zumindest gekannt oder gewollt haben, um in Haftung genommen zu werden („keine Strafe ohne Vorsatz“). Das ist übrigens ein allgemeiner Standard unserer Rechtsordnung.

Verstoß gegen eigenen Vertrag

Es könnten noch weitere rechtliche Aspekte aufgezählt werden, die im Zusammenhang mit Kollektivstrafen im E-Sport zu beachten sind. Daher wäre eine pauschale rechtliche Bewertung à la „Kollektivstrafen sind immer legal oder illegal“ nicht richtig. Zu untersuchen ist immer der Einzelfall.

Die vorstehenden Ausführungen haben jedenfalls gezeigt, dass manche Kollektivstrafen im E-Sport juristisch auf wackeligen Beinen stehen. Nicht selten ergibt sich bei einer rechtlichen Prüfung, dass Veranstalter gegen die Regelungen des eigenen Vertrages verstoßen, wenn Sie eine Kollektivstrafe aussprechen. Ein genauerer Blick kann sich also lohnen.

Dr. Oliver Daum, Rechtsanwalt (Kiel)

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