Kein Thema im Gaming erfährt momentan so viel Aufmerksamkeit wie das der Lootboxen. Angefeuert durch Dokumentationen in der ARD, Statements des Bundesgesundheitsministeriums und öffentlichen Expertenanhörungen wird diskutiert, ob Lootboxen Glücksspiel sind. Die Folgen wären verheerend: Nicht nur, dass es praktisch das Aus für diese Games bedeuten würde. Vielmehr könnten Verbraucher ihr Geld zurückfordern – wie zuletzt in Österreich. Kommt es also in Deutschland zu einer großen Klagewelle?
Lesedauer: 5 Minuten (ca. 980 Wörter)
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Es ist das am heißesten diskutierte Thema der letzten Monate, wenn es um Gaming und E-Sport geht: die Lootboxen. Die ARD hat ihnen in ihrer Mediathek im Januar 2024 eigens eine 45-minütige Dokumentation gewidmet in der dargestellt wird, wie Lootboxen – die ins Deutsche übersetzt „Beutekisten“ heißen – im Spiel funktionieren und wie die Publisher damit Geld verdienen. Und in einem aktuellen Statement zieht das Bundesgesundheitsministerium die Lootboxen als Argument heran, um die Gemeinnützigkeit des E-Sports abzulehnen (auch wenn die Aussage von der Ministerin Paus kurz darauf wieder revidiert wurde).
Lootboxen dominieren derzeit die öffentliche Diskussion. Den Hintergrund bildet dabei die Frage, ob die Beutekisten juristisch als Glücksspiel zu bewerten sind oder nicht. Wäre das der Fall, hätte das jedenfalls weitreichende Folgen für Publisher und Gamer. In Österreich hat es hierzu letztes Jahr zwei Urteile gegeben, die die Branche in Aufruhr versetzt haben. Was die Gerichte festgestellt haben, welche Auswirkungen die Urteile für Verbraucher in Deutschland haben könnten und ob nun die große Klagewelle unzähliger Gamer auf die Publisher zurollt, steht in diesem Beitrag.
Bevor auf die aufgeworfenen Fragen eingegangen werden kann, ist festzuhalten, was unter einer Lootbox zu verstehen ist. Lootboxen sind digitale Schatz- oder Beutekisten in einem Spiel, die entweder mit Echtgeld oder Spielgeld erworben werden können. In den Kisten befinden sich zum Beispiel Gegenstände wie Waffen, Skins oder andere Ausrüstungen, die im Gameplay entweder einen Vorteil bringen oder schlichtweg gut aussehen sollen. In Sportsimulationen können Lootboxen derart enthalten sein, dass den Gamern SpielerPacks angeboten werden. Darin befinden sich dann virtuelle Sportler, die besonders gut bewertet sind und dadurch den Leistungsdurchschnitt des eigenen Teams verbessern.
Das „Problem“ der Lootboxen ist allerdings der Zufall. Denn die Gamer wissen vor dem Kauf der Lootboxen nicht, was drinnen ist. Der Inhalt hängt also vom Zufall ab. Ähnlich wie bei Panini-Stickern. Es kann somit sein, dass die Lootboxen einen Gegenstand enthalten, der keinen spielerischen Vorteil bringt, einen Sportler verbergen, der schlechter ist als der Rest des Teams oder einen Skin, der nicht gefällt. Zur Wahrheit gehört daher dazu, dass Kinder und Jugendliche manchmal große Summen ausgeben, bis ihnen der gewünschte Gegenstand oder Sportler erscheint.
Um weiter der Frage nachzugehen, ob Lootboxen ein Glücksspiel sind, muss zunächst festgestellt werden, was Glücksspiel heißt. Der Begriff „Glücksspiel“ ist juristisch klar definiert. Nach dem Glücksspielstaatsvertrag von 2021 liegt ein Glücksspiel vor,
„wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt.“
Hervorzuheben sind die folgenden drei Elemente:
Ob diese drei Glücksspiel-Bestandteile auch bei Lootboxen vorliegen, darüber diskutieren deutsche Juristen. Einer, der sich mit dem Thema auskennt, ist Rechtsanwalt Dr. Andreas Woerlein, LL.M. Er sagt, dass Lootboxen grundsätzlich kein Glücksspiel sind. Zwar kann durchaus von einem Zufall ausgegangen werden, an einem glücksspielrechtlichen Einsatz und dem Erwerb einer Gewinnchance fehlt es jedoch. Während ein Spieler bei Glücksspielen ausschließlich von der Hoffnung auf einen unmittelbaren entgeltlichen Gewinn getrieben ist, investiert der Gamer bei Lootboxen primär in ein erweitertes Spielerlebnis. Darin bestünde einer der zentralen Unterschiede.
Ob die Bewertung von Dr. Woerlein die Gerichte in Deutschland überzeugen könnte, ist derzeit unklar. Klar hingegen sind die juristischen Auswirkungen, wenn Lootboxen als Glücksspiel kategorisiert würden. Wenn Lootboxen Glücksspiel wären, könnten die Publisher für die Spiele keine behördliche Genehmigung erhalten. Das ist nach dem Glücksspielstaatsvertrag nicht vorgesehen. Lootboxen wären also illegal und in der Folge würde den Publishern damit der Umsatz aus dem Verkauf der Spiele bzw. der Umsatz mit den Lootboxen wegfallen.
Zudem könnten Kinder, Jugendliche und erwachsene Verbraucher ihr Geld zurückfordern, das sie in der Vergangenheit in die Spiele investiert haben. Der Rechtsgrund wäre, dass die Publisher mit den Gamern einen Vertrag („Lootboxen-Vertrag“) geschlossen hätten, der illegal wäre und nicht hätte geschlossen werden dürfen. Die Rückforderungen könnten also insgesamt sehr hoch sein. Eine Insolvenzgefahr dürfte den Publishern jedoch nicht drohen.
In Hinblick auf die Frage, ob Lootboxen Glücksspiel sind, ist man in Österreich schon weiter. Dort haben das Bezirksgericht Hermagor und das Landesgericht Wien letztes Jahr 2023 zwei Urteile gefällt, die Aufschluss geben können. Denn beide Gerichte haben festgestellt, dass der Spielmodus FIFA Ultimate Team (FUT), in dem SpielerPacks erworben werden konnten, juristisch als Glücksspiel zu bewerten sind. Der Publisher Electronic Arts wurde in einem Fall zur Rückzahlung von 10.800 € verurteilt. Da die österreichische und deutsche Rechtsordnung Parallelen aufweisen, könnten die Argumente der österreichischen Gerichte auch in Deutschland Anklang finden.
Droht den Publishern in Deutschland also jetzt die große Klagewelle? Dr. Woerlein schätzt es wie folgt ein:
„Auch wenn die Rechtsprechung aus Österreich nicht übertragen werden kann, ist in Deutschland in den vergangenen Monaten ein politisches Momentum entstanden, das durchaus zu ersten Lootbox-Entscheidungen führen kann. Ob die dann zuständigen Zivilrichter für den Gamer oder die Publisher bzw. Konsolenhersteller entscheiden, ist nur schwer einzuschätzen. Von einer Klagewelle gehe ich aber mit Blick auf die derzeitige Rechtslage und die überwiegend geringen Streitwerte nicht aus.“
Als Fazit gilt: Ob Lootboxen in Deutschland als Glücksspiel einzuordnen sind, ist juristisch noch nicht abschließend entschieden. Es gibt namenhafte Befürworter und Gegensprecher. Diese Frage wird abschließend erst durch ein Gericht beantwortet werden. So ist es durchaus vorstellbar, dass die Urteile aus Österreich in Deutschland als Initialzündung wirken und Kinder und Jugendliche, die in ihre Avatare, Teams und Accounts investiert haben, das Geld von den Publishern zurückfordern. Ob hieraus eine Klagewelle entsteht, die auf die Publisher zukommt, ist ungewiss.
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Dr. Oliver Daum, Anwalt im E-Sport (Kiel), Fachanwalt IT-Recht, Datenschutzbeauftragter (IHK), IT-Sicherheitsbeauftragter (IHK)
*Du bist E-Sportler, Funktionär in einer Orga oder Verantwortlicher und hast Fragen zu Lootboxen? Dann nimm gerne unter info@e-sportanwalt.de Kontakt zu mir auf. Bei Bedarf halte ich auch Vorträge zu diesem und anderen Themen im E-Sport. Komm‘ einfach auf mich zu!